„Pino y queso“, so erklärt die 17-jährige Daniela ihr Liebesleben. Weder mag sie die eine Sorte Empanada (eine empanada de pino ist gefüllt mit Fleisch, Zwiebeln und Ei) noch die andere, sondern beide zugleich. Und genauso ergeht es ihr mit Antonia und Tomás. Sie lacht mit beiden, küsst beide, und sie schläft mit beiden. Sowohl die Arbeitskollegin als auch ihr offizieller Freund erfüllen verschiedene Aspekte ihrer Bedürfnisse. Dass diese Dreiecksbeziehung jedoch eines Tages aufliegen muss, ist klar. Viel schlimmer jedoch, als nicht Danielas einzige/r Geliebte/r zu sein, ist für beide Partner, dass Daniela freizügig über ihr Doppelleben schreibt und die Leser ihres Blogs „Joven & Alocada“ daran teilhaben lässt.
Der Spielfilm der chilenischen Regisseurin Marialy Rivas erzählt aus dem Leben der jungen Daniela (Alicia Rodríguez), die in einer strenggläubigen evangelikalen Familie aufwächst und sich mit ihrem Blog eine eigene Welt des Rückzugs und des Protests erschafft. Ihre Eltern (Aline Kuppenheim und Alejandro Goic) dulden nur den einen Glauben, der in der – so Daniela – „evangelischen Sekte“ gelehrt wird. Wer nicht mitmacht, wird aus dem Familienbund ausgeschlossen, eben wie Danielas ältere Schwester. Nur Danielas Tante erweist sich als einzige Verbündete in diesem Umfeld, das Daniela so vertraut (das beweisen ihre sehr gute Bibelkenntnis) und fremd zugleich ist. Als Daniela von der Schule fliegt – sie hatte außerehelichen Sex mit einem Mitschüler –, wird sie zu einem Jahr Hausarrest und dem Job im evangelikalen Fernsehsender gezwungen. Dort lernt Daniela Antonia und Tomás kennen, verliebt sich in beide und führt fortan ein noch wilderes Leben als zuvor.
Das Thema Sexualität ist charakteristisch für einen Film aus Chile nach der Jahrtausendwende. Nach dem Ende der Diktatur im Jahr 1990 musste der chilenische Film erst wieder neu zu sich finden. Sexualität und Erotik waren in den Kinos Chiles tabu; erst allmählich und dies nur in schüchternen Andeutungen und symbolischen Szenen fand die körperliche Liebe auf die Leinwand. Besonders das Genre der Komödie zeigte sich dann gewagter und machte aus sexo y humor ein erfolgversprechendes Duo, wie zahlreiche nationale Kassenschlager – allen voran Sexo con amor von Boris Quercia und Radio corázon von Roberto Artiagoitía – beweisen, aber auch kleinere Filme wie 36 VECES von Jerónimo Rodríguez zeigen. Die jüngste Generation an Filmemachern geht, so scheint es, völlig (be)frei(t) damit um. Rivas zeigt eindeutige Sexsequenzen und Daniela beim Sex mit Mann und Frau und mit sich selbst. Noch deutlicher sind die animierten Illustrationen, die Danielas Blog bebildern und ihre Sehnsüchte ausdrücken. Dieses offene Schreiben und Sprechen über Masturbation, gleichgeschlechtliche Liebe und sexuelle Begierden deuten auf einen selbstbewussten jungen Film.
Joven & Alocada, der in Berlin in der Sektion Generation 14plus lief und im Januar auf dem Sundance Festival ausgezeichnet wurde, überzeugt durch ein raffiniertes Drehbuch: Die Handlung, die Gedanken der Protagonistin und ihre Aufzeichnungen im Blog-Tagebuch werden geschickt miteinander verknüpft. Der Film ist geprägt von schnellen Schnitten und ist in der Off-Erzählung geradezu ein Feuerwerk an Worten und Sentenzen, wodurch er ein fast unheimliches Tempo an den Tag legt. Das Zusammentreffen von Neuen Medien und Film wird kongenial umgesetzt und herauskommt ein innovativer Film, der nicht nur auf Festivals zu sehen sein sollte, vermutlich aufgrund seiner Offenheit aber nicht jedermanns Geschmack trifft.
